Streitgespräch – Transhumanismus Michael Sandel & Nick Bostrom

Im Grundkurs Philosophie steht in der 11.1 das Oberthema „Anthropologie“ im Lehrplan. Unter Anthropologie versteht man die „Lehre vom Menschen“, also die Frage, was den Menschen als Menschen ausmacht und was ihn vom Tier unterscheidet.

Nachdem wir uns mit Herder (der Mensch hat Sprache), Hegel (der Mensch arbeitet), Darwin (der Mensch ist ein weiterentwickeltes Tier), Scheler (der Mensch ist ein Geistwesen) und Gehlen (der Mensch ist ein seine natürlichen Mängel kompensierendes Wesen) auseinandergesetzt hatten, entschlossen wir uns, eine aktuelle Debatte als Abrundung anzugehen, den Transhumanismus.

Transhumanismus ist eine recht junge philosophische Denkrichtung, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Menschen als Naturwesen zu überwinden. Wir alle wissen, dass der Mensch von seiner körperlichen Ausstattung im Reich des Lebendigen nicht nur erbärmlich dasteht, sondern dass der menschliche Körper nach wenigen Jahren blühender Jugend krankheits- und verfallsanfällig wird.

Die Orthopädie kann aber inzwischen defekte Hüften ersetzen und mit einem Herzschrittmacher können Kardiologen Herzrhythmusstörungen in den Griff bekommen. Diese Idee denken die „Transhumanisten“ weiter, und zwar radikal. Sie praktizieren Kryonik (Leicheneinfrierung), denken über Cyborgs (Mensch-Maschinen-Wesen) nach und schrecken dabei auch nicht vor massiver Genmanipulation zwecks Optimierung zurück und sind damit in das Schussfeld diverser Kritiker geraten, allen voran Hans Jonas und Jürgen Habermas.

Im Verlauf der Beschäftigung mit dem Transhumanismus haben wir anhand von kurzen Texten zwei kontroverse Positionen von Michael Sandel und Nick Bostrom kennengelernt. Wir kamen auf die Idee, in einem fiktiven Streitgespräch beide Autoren aufeinandertreffen zu lassen und so ihre Standpunkte vertreten zu lassen.

 

Die Schülerinnen Julia Placek und Miriam Diener haben sich bereiterklärt, ihr Streitgespräch hier zu veröffentlichen.

 

Sandel:     Guten Tag.

 

Bostrom:   Hallo. Sind Sie nicht Herr Sandel, der amerikanische Philosoph?

 

Sandel:     Der bin ich und Sie sind?

 

Bostrom:   Bostrom, angenehm.

 

Sandel:     Nick Bostrom? Der Transhumanist? Freut mich ihre Bekanntschaft zu machen.

 

Bostrom:   Ja, genau der. Freut mich ebenfalls.

 

Sandel:      Interessante Meinung, die Sie in ihrer Argumentation zur Zukunft der Menschheit vertreten, allerdings trifft sie die Meine nicht ganz.

 

Bostrom:   Ach so? Wie stehen Sie denn zu dem Ganzen?

 

Sandel:      Meiner Meinung nach ist der Transhumanismus keine Verbesserung des Menschen, sondern die höchste Form der Entmachtung.

 

Bostrom:   Und wie kommen Sie zu dieser Ansicht?

 

Sandel:      All diese „Verbesserungen“ lenken uns vom Eigentlichen ab. Wir sollten uns kritisch mit der Welt auseinandersetzen und sie so gestalten, dass auch die Schwächeren oder Beeinträchtigten unter uns ein normales und möglichst günstiges Leben leben können. Ich schätze, diese beeinträchtigten Menschen, von denen ich spreche, würden Sie als unvollkommene menschliche Wesen bezeichnen.

 

Bostrom:   Der Transhumanismus muss Beeinträchtigungen nicht unbedingt ausschließen, denn genau an diese Unvollkommenheit müssen wir uns erinnern, um den Transhumanismus       und uns selbst voran-zutreiben und verbessern zu können. Sie können mir nicht erzählen, dass Verbesserungen schlecht sind, oder sind Sie da anderer Meinung? Zudem würden die Menschen durch den Transhumanismus sogar noch besser als gut leben, nämlich sehr gut.

 

Sandel:      Verbesserungen sind nicht schlecht, nein, aber der Transhumanismus und ihre Ideale schon. Und das wage ich zu bezweifeln, dass man mit Ihren Maßnahmen „noch besser als gut“ lebt. Immer wieder wird von einer freiwilligen Entscheidung gesprochen, doch ich denke, dass es zu noch mehr sozialer Ungerechtigkeit kommt, wenn die einen vermeintlich perfekt und die anderen angeblich unvollkommen sind.

 

Bostrom:   Was heißt hier 'Meine Ideale'? Mit der Meinung, dass der Transhumanismus nur gut für die Menschheit ist, bin ich schließlich nicht alleine! Zudem würde dabei auch das moralische Denken verbessert und vielleicht sogar erweitert werden; ergo sollten nicht noch mehr soziale Ungerechtigkeiten hinzukommen.

 

Sandel:     Moralisches Denken? Das glauben Sie ja wohl selbst nicht!

 

Bostrom:   Doch durchaus, da der angewandte Transhumanismus ein längeres Leben, mehr Kontrolle über sich selbst und ein besseres Gedächtnis, beziehungsweise eine bessere Leistung des Gehirns mit sich bringt, kann man es effektiver nutzen. Nicht so wie jetzt.
Wenn mehr Menschen mehr von ihrem Grips verwenden würden, dann        hätten wir diese ganzen Probleme, wie 'Ich muss so wie der andere sein' nicht, da sie bemerken würden, wie schwachsinnig das ist. Deswegen bin ich sogar der Meinung, dass diese 'Probleme' zurückgehen würden.

 

Sandel:      Ich bitte Sie, das ist totaler Schwachsinn. Sie können doch nicht ernsthaft erwarten, dass die Leute sich nicht dazu gedrängt fühlen werden, transhumanistische "Verbesserungen", wie Sie sie nennen würden, an sich vorzunehmen.


Wenn plötzlich alle guten Jobs an Personen verteilt werden, die sich selbst „optimiert“ haben, um angeblich perfekt zu werden, wo sind noch Chancen auf ein gutes Leben, wenn man nur als Angepasster überlebt? Das ist alles andere als moralisch vertretbares Denken. Anstatt die Welt kritisch zu betrachten und sie besser zu machen, soll man sich selbst immer mehr zur Maschine machen, um gut leben zu können? Das ist banal!

 

Bostrom:   Sie bedenken allerdings nicht, dass durch den Transhumanismus neue Arbeitsplätze entstehen, eben für diese neue Sorte Menschen. Die Arbeitsplätze der anderen würden gar nicht darunter leiden. Es würden in jedem Bereich neue Arbeitsplätze entstehen.

 

Sandel:      Sie drehen sich im Kreis, Mister. Was für Arbeitsplätze meinen Sie denn? Mir fällt nämlich nichts ein.

 

Bostrom:   Diese, die momentan von Maschinen übernommen werden, da wir Menschen noch nicht dazu in der Lage sind.

 

Sandel:      Das glaube ich kaum.

 
Wieso sollte man den Innovationsschritt zurück machen und perfekt programmierte Maschinen absetzen? Nur damit angeblich perfekte Menschen diese Aufgaben übernehmen und Fehler machen können?
Das ist völlig unplausibel.


Damals, als die Fabriken verbessert wurden und die Leute ihre Arbeit verloren, da hat sich keiner gekümmert oder dafür interessiert, was aus ihnen wird. Aber das sollten wir verhindern. Außerdem haben Menschen eben Fehler, aber genau diese machen uns einzigartig und zu Menschen. Maschinen aus uns zu machen ist absurd und dumm, wenn ich das mal so sagen darf.

 

Bostrom:   Wer macht denn diese angeblich perfekten Programme? Richtig, Menschen, und da diese nicht perfekt sind, sind auch die Programme nicht perfekt. Ich will nicht sagen, dass verbesserte Menschen vollkommen perfekt wären, allerdings wären sie näher an der Perfektion als der Mensch heute.

 
Zudem meinte ich nicht, dass wir komplett auf Maschinen verzichten sollten. Nur, dass manche Arbeitsplätze dadurch wieder von Menschen übernommen werden könnten.

 

Sandel:     Perfekter als ihre Versuchskaninchen.

 

Bostrom:   Bitte?!

 

Sandel:      Die Maschinen und Programme. Die sind besser als ihre Cyborgs. Ich werde sie ohnehin nicht umstimmen können, das hat also keinen Sinn, hängen sie ruhig an Ihren Ideen, die den Drang nach sozialer und politischer Reform         nur immer weiter ersticken werden, hängen Sie an ihrer Entmachtung, aber ich, ich werde nie dazu bereit sein zu akzeptieren, dass solch ein Unfug mit dem Menschen getrieben werden soll. Ich wünsche einen guten Tag.

 

Bostrom:   Gut, Sie werden schon noch sehen, was sie davon haben!

 

 

Michael J. Sandel

ist ein US-amerikanischer Philosoph. Bekannt wurde er vor allem als Mitbegründer der kommunitaristischen Strömung. Er studierte und promovierte an der Universität zu Oxford bei Charles Taylor.
Geboren: 5. März 1953, Minneapolis, Minnesota, Vereinigte Staaten
Ehepartnerin: Kiku Adatto
Ausbildung: University of Oxford, Brandeis University, Balliol College
Beeinflusst von: John Rawls, Immanuel Kant, Aristoteles, Michael Walzer, John Stuart Mill, Charles Taylor, John Locke

 

Nick Bostrom

ist ein schwedischer Philosoph an der Oxford University. Er ist bekannt für seine Forschungen und Veröffentlichungen auf den Gebieten der Bioethik und der Technikfolgenabschätzung,
Geboren: 10. März 1973, Helsingborg, Schweden
Ausbildung: Universität Stockholm (1994–1996),
Gegründete Organisationen: Future of Humanity Institute, Institute for Ethics and Emerging Technologies, Humanity

Zurück