Auf den Spuren des Ersten Weltkriegs in Verdun

Am 4. Juni brach unser Leistungskurs Geschichte nach Frankreich auf. Ziel der Fahrt war das im Norden des Landes gelegene Verdun, eine Stadt mit reicher Geschichte. Nach etwa fünf Stunden Fahrt ging es auf direktem Wege in das “Memorial Verdun”. Das moderne Museum, gebaut gegen das Vergessen, steht inmitten der sogenannten “roten Zone”. Dieses Gebiet war nach dem Krieg besonders zerstört und wird im Museum mehrfach als “Mondlandschaft” beschrieben. Beim Betreten des Museums fällt einem als erstes die dunkle Atmosphäre auf, denn das Museum ist überwiegend in Schwarz gehalten und nur wenig beleuchtet. Als zweites sieht man ein großes Banner mit der Frage “Warum Verdun?”.

Warum Verdun? Warum mussten damals allein in dieser Schlacht über 300.000 Menschen sterben? Eine eindeutige Antwort darauf gibt das Museum nicht und man kann bezweifeln, ob es jemals eine befriedigende geben wird. Das Museum veranschaulicht das damalige Grauen auf besonders eindrucksvolle Art und Weise. Stellenweise ist der Boden aus Glas, darunter liegt aus Plastik simulierter Schlamm, mit welchem die Männer damals zu kämpfen hatten, sowie einzelne Fundstücke. Wo am Anfang noch gelacht und fasziniert beobachtet wurde, kehrte bald Stille ein. Besonders ein Raum sorgte für Betroffenheit: Dort sind Stücke ausgestellt, welche die Soldaten damals bei sich trugen. An der schrägen Decke sind erschütternde Zitate aus Feldpostbriefen zu lesen: “Mama, warum hast du mich zur Welt gebracht? Warum muss ich so etwas Schreckliches miterleben?”, heißt es da unter anderem.

Nach dem Rundgang durch das Museum ging es auf direktem Wege zu unserem Hotel. Beim anschließenden Abendspaziergang durch Verdun wurde eines deutlich: Die Stadt ist bis heute Symbol, Symbol für Krieg und Frieden zugleich. Über die Maas, durch das Stadttor, über die Avenue de la victoire gingen wir zum Siegesdenkmal. Von dort bietet sich ein toller Ausblick über Verdun. Außerdem besichtigten wir die Cathedrale Notre Dame und den Innenhof des Bischofssitzes. Nach diesen neuen Eindrücken ließen wir den Abend auf der Promenade an der Maas ausklingen.

Am nächsten Morgen besichtigten wir als erstes das so genannte „Beinhaus“. Durch den Wald, vorbei am Maginot-Denkmal, dem Löwen-Denkmal, dem verschwundenen Dorf Fleury und dem Denkmal für die gefallenen jüdischen Soldaten, fuhren wir auf die Gedenkstätte zu. Vor uns breitete sich ein Soldatenfriedhof von enormer Größe aus. Später sollten wir erfahren, dass hier “nur” 15.000 identifizierte Soldaten begraben sind - im Vergleich zu den Überresten von 130.000 nicht-identifizierten Soldaten im Keller des Beinhauses. Um Verdun sind insgesamt 49 französische, 30 deutsche und zwei amerikanische Soldatenfriedhöfe zu finden. Das Beinhaus selbst zeigt die in Stein gemeißelten Namen von bis heute vermissten Soldaten. Ob deren Überreste vielleicht wirklich in den, der Öffentlichkeit nicht zugänglichen, Kellerräumen zu finden sind, weiß man nicht. Doch trotzdem kommen bis heute immer noch neue Namen hinzu. Auch dieser Ort arbeitet aktiv gegen das Vergessen. Um die Bedeutung des Ortes noch einmal zu verdeutlichen, wurde uns ein Film gezeigt. Die Stille, die sich im Vorführraum ausbreitete, während Aufnahmen der Knochenmassen und Original-Aufnahmen über den Bildschirm flimmerten, war keine normale Stille. Nein, diese Stille war angespannt und jedem im Raum wurde die Grausamkeit des Ersten Weltkrieges noch einmal umso deutlicher bewusst. “Wir waren das Leben…” Mit diesem Satz endete der Film.

Mit den Gedanken noch bei den zuvor gesehenen Bildern ging es 340 Stufen hinauf in den Glockenturm. Von dort aus hatte man einen beeindruckenden Ausblick über das Gelände und die 15.000 Gräber. Von hier aus waren auch die nach Mekka ausgerichteten Gräber für die muslimischen Gefallenen besonders gut zu sehen. Noch einmal wird ein Aspekt des Ortes deutlich: Egal ob Franzose, Algerier, Deutscher oder Amerikaner... Im Tod sind alle gleich und an diesem Ort gemeinsam begraben. Hier wird eines klarer als je zuvor: Der Tod macht keinen Unterschied. Er ist weder fair, noch wählerisch. Unser Weg führte uns weiter zum Fort Douaumont. Die ehemalige Befestigung liegt nicht weit vom Beinhaus entfernt und schmiegt sich an ihre Umgebung an. Das von den Franzosen errichtete Fort, das später von den deutschen Soldaten übernommen und danach wieder von den Franzosen erobert wurde, zeigt deutliche Spuren der vergangenen hundert Jahre. Die Substanz ist rissig geworden, weshalb es im Inneren sehr feucht ist. An vielen Stellen haben sich Stalaktiten gebildet und unterirdische Teile sind bereits überflutet. Heute ist nur noch ein kleiner Teil des Forts zugänglich. Wir besichtigten Kasematten und den Geschützturm, sahen die Überreste einer Bäckerei, eines Waschraumes und der Latrinen. Ein Halt führte uns auch an eine Gedenkstätte für über dreihundert deutsche Soldaten, die bei einer Explosion innerhalb des Forts umkamen. Vor einer Mauer steht ein Kreuz mit der Aufschrift “Den Toten Kameraden”. Nie hat jemand die Mauer abgerissen und das Massengrab dahinter gesehen und dennoch sind alle Soldaten identifiziert. Die Angehörigen haben also Gewissheit. Das ist mehr, als vielen anderen Familien zuteil wurde.

Den letzten Teil unserer Exkursion stellte eine Wanderung durch den Wald der “roten Zone” dar. Heute, über 100 Jahre später, hat sich die Natur vieles zurück geholt. Dennoch sind Granattrichter, Versorgungs- und Schützengräben und Ruinen teils noch sehr deutlich erkennbar. Auf unserem Weg, der uns teilweise durch die ehemaligen Laufgräben führte, sahen wir auch einige Blindgänger, die auch heute noch en masse gefunden werden. Auch die Gesprächsthemen hatten sich gewandelt. Kaum jemand sprach noch über Privates, die meisten redeten über die Eindrücke, die in den vergangenen zwei Tagen gewonnen wurden. Nach etwas mehr als zweieinhalb Stunden kamen wir wieder am Beinhaus an und fuhren zurück in unser Hotel.

Nach einer beeindruckenden Exkursion ging es am nächsten Tag mit neuen Eindrücken und den immer noch auf die Vergangenheit gerichteten Gedanken zurück in die Heimat.

Charlena Schnatz

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