Vorwort
  Klicken, um die aktuelle Version dieses Beitrags als PDF herunterzuladen.

GOETHE, Bad Ems und 175 Jahre Höhere Schule

In unserer Zeit, in der dem geschriebenen Wort nur noch wenig Bedeutung beigemessen wird, sollen die folgenden Beiträge nichtsdestotrotz auch eine Erinnerung an die vergangenen Zeiten unserer Schule darstellen und den Leser gleichfalls auch unterhalten. In den Jahren 2021 und 2022 waren auf der Homepage des Goethe-Gymnasiums in loser Folge zehn Artikel erschienen, die unter verschiedenen Aspekten an das 175jährige Bestehen der Höheren Schule (1846 bis 2021) in Bad Ems erinnerten. Die Quellen dieser Beiträge stellen Schulschriften, Schülerbeiträge, Akten etc. allesamt aus dem Schularchiv dar.
Die Quellenlage zur Geschichte der Höheren Schule in Bad Ems ist von daher als gut einzuschätzen. Die umfangreicheren Bestände für die Zeit vor 1945 im Hessischen Staatsarchiv Wiesbaden wurden hier naturgemäß aber ebenso wenig eingesehen wie die Sammlungen des Stadtarchivs Bad Ems. Das Schularchiv im Hause stellt mit seinen amtlichen (Schulakten, Protokollbücher z.B.), halbamtlichen (schulischen Festschriften u.a.) und privaten Aufzeichnungen (Schülerschriften) eine hinreichende Materialbasis für diese eher anekdotischen Beiträge dar.

 

Quellen: Akten des Schularchivs

Literatur grundlegend:

Billaudelle, Karl: Beiträge zur Geschichte der Höheren Schule in Bad Ems, In: Staatliches Goethe-Gymnasium Bad Ems. Festschrift aus Anlaß der Einweihung des Schulneubaues und des 120jährigen Bestehens der Schule. Lahnstein 1966, 8-35.

50 Jahre Abitur. Festschrift zum 50jährigen Abiturjubiläum. Staatliches Goethe Gymnasium Bad Ems 22. – 24. Juni 1979. Bad Ems 1979.

Hier gesellt sich schließlich noch ein ebenfalls bereits auf der Homepage der Schule publizierter Artikel dazu, der die tatsächlich besondere Beziehung des Namengebers unserer Schule zu Bad Ems darstellt:

Goethes ‘Werther‘, die 250. Wiederkehr des 13./14. September 1772 und das Gymnasium in Bad Ems

Abgerundet werden diese Beiträge durch eine Photographie des Kollegiums von 2023.

 

Der Verfasser ist für viele technische Hilfestellungen im Internet wie auch bei Photographien Herrn Matthias vom Dorp sehr zu Dank verpflichtet.

Allen Abbildungen, die nicht dem Schularchiv entnommen wurden, sind Nachweise beigefügt, insofern sich diese ermitteln ließen.

Alle Eltern, ehemalige SchülerInnen und Freunde des Goethe-Gymnasiums waren und sind weiterhin gebeten und aufgerufen, gegebenenfalls noch vorhandene Erinnerungsstücke (Schüler- und Abi-Zeitungen, Fotos, etc.) dem Schularchiv zukommen zu lassen oder zur Registrierung zur Verfügung zu stellen! Einige der hier seitdem überarbeiteten Beiträge haben von diesen Zusendern bereits profitiert!

Dr. Thomas Bohn
Bad Ems, im September 2024

 

Zur Einführung sei zunächst ein kurzer Abriss zur Geschichte der Höheren Schule in Bad Ems vorangestellt.

Spätestens ab 1833 strebte die damals europaweit bekannte Kurstadt Bad Ems danach, eine höhere Lehranstalt zu erhalten. Erst dreizehn Jahre später gelang der damals ca. 2.500 Einwohner zählenden Kleinstadt die Gewährung einer „Herzoglich-Nassauischen Realschule“, die am 23. April 1846 mit zwei Klassen und sechs Lehrern ins neue Schuljahr startete. Diese Höhere Bürgerschule war gleich im doppelten Sinne ‘Real‘: sie war staatlich (real = königlich = staatlich) und sie erfüllte die Wünsche der Bürgerschaft nach der Erlernung der modernen Fremdsprachen Französisch und Englisch, die im internationalen Kurbetrieb grundlegend waren. Zumal der damalige Bildungsföderalismus für begabte Kinder aus Ems und Umgebung den Besuch des einzigen staatlichen (altsprachlichen) Gymnasiums [heute Görres-G.] in der Hauptstadt der Preußischen Rheinprovinz Koblenz fast unmöglich machte. Denn der Wunsch nach einer engeren Anbindung an den doch eher gefürchteten Nachbarn, die europäische Großmacht Preußen, bestand für das kleine Großherzogtum Nassau während der Zeit des Deutschen Bundes (1815-1866) gewiss nicht.  

Nach dem Deutschen Krieg von 1866, in dem sich der herzogliche Landesvater auf die Seite der Verlierer geschlagen hatte, wurde das Nassauer Land quasi preußisch und die Emser Anstalt zu einer Königlich-Preußischen Realschule I. Ordnung, d.h. mit Lateinunterricht. Lehrer- und Schülerschaft bestand, wie für eine höhere preußische Lehranstalt üblich, aus den drei Konfessionen evangelisch, katholisch und israelisch. Das erste bescheidene Schulgebäude in der Römerstr. 53 wurde 1878 getauscht gegen den angedeutet klassizistischen Quaderbau in der Viktoriastraße, dessen Schulhof [heute Therme] am Lahnufer endete. Der preußische Staat investierte damals in heute nicht mehr gekannter Höhe in die Bildung, und das nicht nur in den ganz wenigen Gymnasien. Die Typenbezeichnung der Schule wechselte während ihrer Zeit im Reichsland Preußen bis 1945 des öfteren. Für die maximal 80 Schüler des frühen Realprogymnasiums, die in bis zu sieben Klassen jahrgangsübergreifend unterrichtet wurden, war die sogenannte „Einjährigenberechtigung“ besonders wichtig, da ihre Absolventen nach der 12. Klasse ebenso wie die Abiturienten der immer noch ganz wenigen Gymnasien nur ein Jahr Militärdienst als Reserveoffiziersanwärter zu leisten hatten; die männlichen Abgänger der zumeist achtjährigen Volksschulen, d.h. 99% eines reichsweiten Jahrgangs, mussten dagegen bis zu drei Jahre Grundwehrdienst ableisten! Relativ spät, nämlich erst 1913, erhielt die Schule mit ‘Kaiser Friedrich‘ [III. 1831-1888], ihren ersten Namenspatron. Einen nassauischen Fürsten, was sich durchaus angebot, hätte Kaiser Wilhelm II. wohl nicht „zu genehmigen geruht“ und seinem Vater vorgezogen. Das erste „vollwertige“ Abitur konnte die Kaiser - Friedrich – Schule 1929 feiern; ab den 1930er Jahren besuchten die ersten Mädchen die Schule.  

Nach der Zäsur des II. Weltkrieges wurde die Emser Schule 1945 endgültig und bis heute in ein neusprachliches Gymnasium umgewandelt. Der alte, traditionsbegründete Name – die Hohenzollern hatten mit mehreren Generationen gerne und oftmals im „Kaiserbad“ gekurt - fiel 1949 weg. Der Name „Goethe-Gymnasium“ bleibt bis heute. Als die Schülerzahlen die Raumkapazität des alten Schulgebäudes schon lange gesprengt hatten, zog unsere Schule 1966 in den modernen Zweckbau in der Schulstraße um.

 

Höhere Schule in Bad Ems

  FOLGE 1
  Klicken, um die aktuelle Version dieses Beitrags als PDF herunterzuladen.
 

Anfänge

Heute, am 23. April 1846, also vor genau 175 Jahren, wurde die Herzoglich Nassauische Real-Schule zu Bad Ems offiziell begründet. Diese höhere Bürgerschule war im doppelten Sinne ‚Real‘: sie war staatlich (real = königlich = staatlich) und sie erfüllte die schon lange untertänigst geäußerten Wünsche der Bürgerschaft nach Erlernung der modernen Fremdsprachen Französisch und Englisch, die im internationalen Kurbetrieb grundlegend waren. Das schnelle Anwachsen der Schülerzahl auf 60 in drei Klassen ermutigte die Gemeinde schon im Herbst 1847 das Haus Römerstr. Nr. 53 (spätere Luisenschule für Mädchen) zu erwerben, wo die Schule bis zur Errichtung des Neubaus 1878 verblieb (dazu eine spätere Folge). Aus dieser Zeit stammt der bemerkenswerte erste Eintrag des ersten Protokollbuchs (1847-1884):

1. Protocoll der Schulconferenz am 31. Aug(ust) 1847

Hr. Pfarrer Spiess eröffnete die Conferenz durch eine kurze Anrede an die anderen Anwesenden über die Wichtigkeit der Lehrerversam(m)lungen und die Nothwendigkeit eines freundschaftlich- collegialischen Zusammenwirkens ...

mit gerade mal vier Lehrern: Schulinspektor Pfarrer C. Spiess und den Reallehrern J. Hermann, Dr. Schenckel, Chr. Kunz

 

Ein Jahr vor der großen Revolution von 1848 und während der schlimmen Hungerjahre 1846/47 war von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen dem Schulinspektor der Gemeinde (Schulträger) und den vom herzoglichen Provinzial-Schulcollegium zu Wiesbaden entsandten Lehrkräften keine Rede gewesen. Das lässt auch der weitere Wortlaut des Protokolls deutlich erkennen, das viele Jahre von der Hand des Reallehrers J. Herrmann verfasst wurde. Abgesetzt von den Unterschriften der Staatsbeamten bestätigt der Emser Schulinspektor durch ein ‚vidi‘ die Richtigkeit der Darstellung.

Höhere Schule in Bad Ems

 

  FOLGE 2
  Klicken, um die aktuelle Version dieses Beitrags als PDF herunterzuladen.
 

Goethe-Gymnasium
und Moderne Literatur:
Botho STRAUß 1964

Botho Strauß

Zu den bekanntesten ehemaligen Schülern des GG gehört Botho STRAUß (*1944 Naumburg/Saale), der in den 1980er Jahren durchaus als Kandidat für den Literatur-Nobelpreis galt und bis heute etliche Literaturpreise erhielt.

Der immer noch aktive Schriftsteller veröffentlichte vielbeachtete Romane, Kurzgeschichten, Essays und Aphorismen. Er gehört zudem zu den erfolgreichsten und meistgespielten zeitgenös-sischen Dramatikern überhaupt.

Die Jahre in Bad Ems sieht er durchaus prägend an: Zu seinem 70. Geburtstag 2014 veröffentlichte er seine Kindheitserinnerungen („Herkunft“) aus seiner Bad Emser Zeit und gerade auch zu seiner Schulzeit. Als Flüchtlingskind nach Ems gezogen, besuchte er mit Beginn der Sexta (5. Klasse) 1953 das GG bis zum Abitur Ostern 1964. Herausragend bis gut waren seine Leistungen vor allem in Deutsch, Latein, Französisch und Englisch. Das Gesamtgutachten, das damals für jeden Schüler erstellt wurde, stammt wohl aus der Feder seines Deutschlehrers OStD Dr. DIETERT. Es wirkt geradezu prophetisch und soll deshalb hier stellenweise wiedergegeben werden:

Titelbild des Buches „Herkunft“ von 2014

 

BS ist „… allem Schöngeistigen, wie überhaupt dem Geistigen sehr aufgeschlossen … Seine natürliche schauspielerische Begabung führte ihn bei Schulfeiern oft auf die Bühne. … Er ist der Typ des Intellektuellen und Individualisten und diese Eigenschaften machen es ihm manchmal schwer, sich einer Gemeinschaft unterzuordnen … Seine gute häusliche Erziehung und seine Umgangsformen sind aber … in der Lage, aufkommende Spannungen zwischen dem Individualisten und der Gemeinschaft zu überdecken. S. möchte Germanistik und Theaterwissenschaften studieren. Er wird seinen Weg machen.“

Höhere Schule in Bad Ems

 

 

FOLGE 3

  Klicken, um die aktuelle Version dieses Beitrags als PDF herunterzuladen.
 

Schülerzeitungen am Goethe-Gymnasium — einst und jetzt

Periodisch erscheinende Schülerzeitungen bilden seit jeher neben „Bierzeitungen“ der Abiturienten und 10. Klassen ein belebendes Element im Schulleben. Vielleicht gibt das folgende Kaleidoskop aus beinahe 70 Jahren Euch heutigen SchülerInnen den Anschub, mal wieder eine Schülerzeitung am GG zu starten!

Die Penne wurde Ostern 1952 von der „Schülermitverwaltung“ gegründet und bestand als Mitglied der „Jungen Presse RLP“ mindestens bis 1958. Sie ist damit die älteste an unserer Schule – zumindest für die Nachkriegszeit. Auf grobem Holzpapier in einer Auflage von bis zu 600 (!) hektographiert, besticht sie mit gelungenen Graphiken; z.B. Titelbilder, Werbeanzeigen, Porträts etc. Sie berichtet u.a. über die Erlebnisse eines Heimkehrers aus siebenjähriger russischer Kriegsgefangenschaft, den Schülerbesuch des FDP Landesparteitages im immer noch französisch besetzten Saarland 1954, vom Besuch der Weltausstellung in Brüssel (!) – 1958 die erste nach dem II. Weltkrieg. Daneben werden die Korbballmeisterschaften – der in Deutschland noch ziemlich neue Basketball – ebenso besprochen wie Leichtathletikkämpfe, Hallen- und Feldhandballturniere oder besuchte Jazz-Konzerte.

Auch @altpapier konnte zu DM-Zeiten 1997 im DINA5 Format weniger durch seine Druckqualität als durch seine originellen Beiträge überzeugen. Aus heutiger Sicht lassen sich Anfänge der „Digitatur“1 in einem Interview mit Direktor Dr. Schwarz erkennen: nur wenige Jahre nach der Einführung des Internets in Deutschland zunächst an den Universitäten konnte der wackere Schulmann alten Schlages die drängenden Schülerforderungen mit dem pädagogischen Schlagwort „Interneterziehung“ vorerst noch eindämmen. In der Schülerredaktion befand sich übrigens ein gewisser Andi FISCHER.

 

 

 

1 Der Autor erlaubt sich, seine Wortneuschöpfung für die zunehmende Beherrschung von Leben und Intellekt des Menschen hier anzubringen.

 

Aus diesem Jahrhundert stammen die ebenfalls kurzlebigen Klartext von 2001 und Spick-Zettel von 2003. Neben den witzigen und kritischen Schülerartikeln sticht hier der sachlich gehaltene Bericht über den Unfalltod einer Schülerin der Schiller-Schule auf dem Weg zur Schule am 10. Februar 2003 heraus. Unser ehemaliger Kollege Dr. Maier, der gerade auf dem Weg zum GG war, konnte keine Erste Hilfe mehr leisten, wie er später schockiert im Lehrerzimmer berichtete.

Die Penne, 1957

Spick-Zettel, 2001

Klartext, 2003

 

Höhere Schule in Bad Ems

 

 

FOLGE 4

  Klicken, um die aktuelle Version dieses Beitrags als PDF herunterzuladen.
 

Schülerleben im Kaiserreich

Unser undatiertes Foto einer Emser Klasse vor ihrem Gymnasium (Beitrag zum Gebäude folgt) stammt aus einer Zeit, die uns Heutigen fremd, aber auch interessant erscheinen mag. Unterschiede zur Gegenwart sollen daher hier knapp vorgestellt werden. Vergleiche zur heutigen Situation bleiben dem Betrachter überlassen.

 

Stolz und selbstbewusst wirken die meisten der 14 Schüler der Oberstufe – eine damals normale Klassenstärke, die einen Abiturjahrgang darstellte. Die drei Schüler am rechten Rand schauen keineswegs desinteressiert zur Seite, sondern bieten dem Emser Fotografen bewusst ihr Profil, so wie man das damals bei Gruppenfotos zu tun hatte. Als Schuluniform trug man in der Regel bis zur Obertertia (9. Klasse) einen Matrosenanzug; danach wie auf dem Foto einen Anzug mit kleiner Krawatte. Die Käppis, die man draußen trug, ähnelten denen der Studentenverbindungen, was kein Zufall war: die wenigen Abiturienten – ca. 0,1 Prozent eines Gesamtjahrgangs – studierten später so gut wie alle.

Das jährliche Schulgeld betrug 130 RM (+ einmalige Aufnahmegebühr 15 RM) – ein monatliches Durchschnittseinkommen keine 200 RM! Trotzdem achtete gerade der so leistungsbezogene preußische Staat darauf, begabten Schülern den Besuch dieser Eliteschulen zu ermöglichen. Der heute noch bekannte Klassenprimus war damals insofern eine jährlich im Schuljahresbericht veröffentlichte „Institution“, als dass der Notenbeste nicht nur das „Vergnügen“ hatte, vorne beim Lehrerpult zu sitzen und das Klassenbuch zu führen, sondern auch das Schulgeld minimiert bzw. erlassen bekam!  Weiterhin wurden die leistungsstärksten Schüler prämiert: etwa bei der Geburtstagsfeier seiner Majestät am 27. Januar 1899 in der festlich geschmückten Aula unter reger Beteiligung der Bürgerschaft … mit Verleihung eines Schüler-Buch-Preises der Schulbehörde „Deutschlands Seemacht einst und jetzt.“ Darüber hinaus wohnten die auswärtigen Schüler von Westerwald und Taunus die Woche über in Bad Ems – wenn der einfache Fußweg zur Schule mehr als 10 km betrug! Und zwar z.B. gediegen im Schülerheim beim pensionierten Berliner Oberlehrer Prof. Dr. Möller und Gattin, die den Eltern in ihrer Emser Villa Herzlichkeit, Frohsinn, Pflege und enge Beaufsichtigung in Aussicht stellten. „Bedingung für die Gewährung einer ganzen, halben oder viertel Freistelle sind unter allen Umständen Würdigkeit und Bedürftigkeit, was bedeutete, dass Kost und Logis des Kindes bei geringem Einkommen der Eltern und je nach entsprechender Begabung vollständig, zur Hälfte oder zu 25% vom Staat übernommen wurde.

Neben den (beinahe) garantierten gesellschaftlichen Vorteilen eines Abiturs bot auch das Emser Realgymnasium mit nur 8 Jahren Schulzeit das Privileg des „Einjährigen“, d.h. der anschließende Militärdienst dauerte nur ein Jahr statt zwei oder zeitweise drei (!) Jahre für die große Masse der jungen Männer. Allerdings erwarteten Staat und Gesellschaft, dass die „Studierten“ dann Reserveoffiziere wurden und das in etlichen Wehrübungen auch blieben. Und so war das Militärische schon vor der Nazizeit an den Gymnasien weit verbreitet:

Zwar wurden die jährlichen Sedanfeiern am 02. September (zum Gedenken an den Sieg über Frankreich 1871) in den Städten feierlich begangen und waren unterrichtsfrei, konnten aber auch beim neuen Emser Schuldirektor und Reserveoffizier Dr. Heinrich Hawickhorst1 1913 das Nachstellen der Schlacht auf dem Schulhof bedeuten.

­­­­­________________

1 kämpfte im I. Weltkrieg als Hauptmann. Er hielt als Direktor des Gymnasiums in Staßfurt (bei Magdeburg) 1933 eine öffentliche Rede, in der er den nationalsozialistischen Terror stark kritisierte, https://www.stassfurt.de/de/datei/anzeigen/id/11934,1065/hermann_kasten.pdf

Höhere Schule in Bad Ems

 

 

FOLGE 5

  Klicken, um die aktuelle Version dieses Beitrags als PDF herunterzuladen.
 

Ein Germanist aus Bad Ems:
Adolf BACH

(* Bad Ems 1890 — † Bad Ems 1972)

Der „Altmeister“ der deutschsprachigen Namenkunde verfügte als hochgeschätzter Germanist und Romanist über ein sehr breites Forschungs- und Publikationsspektrum, das sich über Sprachgeschichte, Landes- und Kulturgeschichte, Volkskunde bis hin zum sehr lesenswerten Buch über unseren Namenpatron GOETHE und dessen rheinischen Kreis erstreckt. Einige Arbeiten des Emser Ehrenbürgers haben heute noch Bestand, die hiesige Adolf-Bach Promenade erinnert an ihn. Auf die in Erwägung gezogene Benennung unserer Schule nach A. BACH wurde 1949 (vgl. Folge 6) schließlich zugunsten des „Dichterfürsten“ selbst verzichtet.

 

Zu seinem Lebenslauf nach der Schule nur kurz:

Nach Studium in Kiel, Oxford und Paris (Sorbonne), vier Jahren Kriegsdienst wurde er in der Krisenzeit der frühen Weimarer Republik zunächst Studienrat, dann Dozent und Professor an der Universität Bonn im ‚Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande‘ (Abteilung Mundartforschung und Volkskunde). Die dort schon früh gepflegte interdisziplinäre Zusammenarbeit von Sprach- und Landesgeschichte und Geographie war und ist bis heute beispielgebend. Seine NS-Mitgliedschaft, zeittypisch ab 1933, setzt ihn in ein gewisses Zwielicht1. Hochdekoriert (Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern) und als Mitglied ausländischer Wissenschaftsakademien, arbeiteten er und seine Ehefrau Lili bis zum Schluss in Bad Ems für die Schriftleitung der ‚Nassauischen Annalen‘.

 

BACH, Sohn eines alteingesessenen und recht wohlhabenden Emser Textilkaufmanns, wurde 1900 als Sextaner nach einer Aufnahmeprüfung am damals lateinlosen Emser Realprogymnasium eingeschult. Obwohl zwei Jahre jünger als der Klassenprimus, der 6 Jahre (!) die Volksschule besucht hatte, erreichte der anfangs kränkliche, aber überaus strebsame Bach (zähes und stetiges Ringen) als Primaner schließlich Position eins in seiner Klasse. Bach erlernte selbstverständlich Schwimmen (Schwimmanstalt in der Lahn) und insbesondere Rudern (siehe Beitrag Sportlerleben anno 1929).

Viele weitläufige Schulwanderungen in die Umgebung dienten der allseitigen Ausbildung der Persönlichkeit (Natur, Limes, Heimatkunde). Hervorzuheben wären die 1900-1903 sensationellen Ausgrabungen des Römerkastells Holzhausen oder des Keltendorfs bei Neuhäusel, bei denen die Schüler mittun durften!

 

Im Rückblick imponierten B. die beiden Oberlehrer, der Altphilologe Prof. Dr. Wilhelm Hofmann und der Emser Dr. Theodor Maxeiner in Englisch und Französisch.

 

Vieles registrierte der aufgeweckte Junge genau und schrieb es nieder: z. B. die Arbeit der vielen Handwerksbetriebe und die zahlreichen Dienstboten, die dem weltstädtischen Kurbetrieb dienten, die höheren Töchter aus Ems, die längere Zeit in England gewesen waren und elegant lawn tennis spielten, die prachtvoll ausstaffierten Mietkutschen oder die Konzerte weltbekannter Orchester und Solisten, aber auch den  ‚Schulskandal‘ der reinen Jungenschule um die von etlichen Primanern umworbene Haushaltshilfe des Direktors, der seine Dienstwohnung im Schulgebäude hatte. Vorträge im Emser Kolonial- bzw. Flottenverein begeisterten und erweckten Fernweh. Um 1906 nach dem „Einjährigen“ (vgl. Folge IV) ein komplettes humanistisches Abitur zu erhalten, wechselte B. in die großherzogliche Residenzstadt Darmstadt an das altsprachliche Ludwig-Georgs G. – nicht ins preußische Koblenz an das damalige Kaiserin-Augusta-G. (Görres-G.).

 

 

 

 

1 Eine Gestapo Beurteilung als „charakterlich negativ, weltanschaulich undurchsichtig“ spricht für ihn. Seine Jugenderinnerungen ‚In süßen Freuden ging die Zeit. Ein Buch von Jugend und Heimat‘ reichen bis 1909 und sind teilweise in den Bombennächten zwischen 1942 und 1944 entstanden. Seine dort zu findende Ablehnung des NS, „Statthalter des Bösen … und ihrer Schandtaten“, muss allerdings quellenkritisch relativiert werden, da dieses Buch erst 1958 publiziert wurde.

 

Weitere Informationen unter anderem bei de.wikipedia.org/wiki/Adolf_Bach

Höhere Schule in Bad Ems

 

 

FOLGE 6

  Klicken, um die aktuelle Version dieses Beitrags als PDF herunterzuladen.
 

Die Schulgemeinschaft in schwieriger Zeit – 1933 bis 1945 1

 

Schon vor der Machtübernahme der NS kam die Schule mit der heraufziehenden „neuen Zeit“ unliebsam in Kontakt. Als 1930 die NSADP bei der Reichstagswahl gerade mal 3 Prozent erhielt, hatte StR Hein HERBERS (1895-1968) als SPD-Mitglied, Weltkriegsteilnehmer und bekannter Pazifist in Ems eine öffentliche Rede („Das Hakenkreuz ist Deutschlands Untergang“) gehalten und versucht, das Eindringen des NS-Gedankengutes in die Schule durch Aufklärung über das Verbrecherische dieser Ideologie zu verhindern. Allerdings trugen bereits 1930 einige Oberschüler auf dem Weg zur Schule die Parteiabzeichen und StR Anton PFLUGMACHER besuchte 1930 (privat) mit einigen Schülern in Uniform den Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg! Als PFLUGMACHER auch noch bei einer lokalen NS-Veranstaltung 1930 als Gastredner aufgetreten war, strengte der Direktor ein Disziplinarverfahren gegen ihn an. Die Unruhen in Elternschaft, Kollegium und Stadt hatten nach dienstlichen Untersuchungen ihren (internen) Höhepunkt, als der Oberpräsident (SPD) der Provinz Rhein-Nassau die Schule als „zur Brutstätte des Hakenkreuzes geworden“ bezeichnete. Für Direktor Dr. Wilhelm AUF DER HAAR, der ohne Nationalsozialist zu sein, eher dem konservativ-nationalistischen „Stahlhelm“ nahestand, „kehrte erst wieder Ruhe ein“, als HERBERS 1931 nach Kassel versetzt wurde. 2

3

Hein HERBERS (Mitte) im Winter 1930/31 auf dem Schulhof mit den Oberschülern (von links)
Hans HOPPE, Peter METZEN, Günther MENK, Theo MALZBENDER. Das Foto war (wirkt wie) ein statement dieser Schüler!

 

Als mit dem „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 die NS-Herrschaft endgültig gefestigt erschien, hielt Direktor AUF DER HAAR in der Turnhalle (vgl. Beitrag Schulgebäude) unter drei Fahnen, der der Schule, dem Schwarz-Weiß-Rot der Monarchie und der der NSDAP eine Lobrede auf die braunen Herrscher. Noch lebte die Hoffnung auf eine „Versöhnung“ der neuen Bewegung mit der untergegangenen Monarchie bei den konservativ-national eingestellten älteren Kollegen fort. Für die Abiturienten von 1933 waren die Wochen nach der Machtübergabe an die NS am 30. Januar wohl noch kein großer Einschnitt; die beiden Fotos vom März 1933 lassen jedenfalls nichts dergleichen erkennen.

4

 

So rustikal würde heutzutage keine mündliche Abiturprüfung bezeichnet werden!

 

Die NS-Zeit ab 1933 stellte dann aber auch die Schule – Lehrer wie auch Schüler und Eltern – im beschaulichen Bad Ems vor viele Probleme und oftmals auf die Probe.

Schüler der Schulge.[meinschaft] Oberrealschule beim Aufmarsch zum 01. Mai 1933 5

 

Einige bemerkenswerte Details seien kurz aufgeführt: an diesem von den NS gerade erst erschaffenen arbeitsfreien „Ehrentag der Nationalen Arbeit“ marschierten an der Spitze des Zuges neben OberschülerInnen, ein SA-Mann und ein Lehrer (evt. StR PFLUGMACHER als Weltkriegsteilnehmer mit Eisernem Kreuz) durch die Römerstraße. Im Hintergrund sind Mitglieder der Hitler-Jugend und jüngere SchülerInnen in Zivil zu erkennen. Auf den Bannern mit u.a. den Slogans „Verein für das Deutschtum im Ausland“ und „Deutschland erwache!“ sind die alten kaiserzeitlichen Farben Schwarz-Weiß-Rot einseitig mit dem Hakenkreuz beklebt!
Weitere problematische Ansatzpunkte eines gewissen Widerstandes waren z.B. der ausgrenzend-diffamierende Umgang mit den (wenigen) jüdischen Mitschülern oder etwa der alltägliche Hitlergruß des Lehrers vor der Klasse. Die Verweigerung als niederschwellige Form des Widerstandes konnte bei einer Denunziation ernsthafte Folgen nach sich ziehen. Daher ist die Kritik an den Zerstörungen in Bad Ems in der „Reichspogromnacht“ zum 10. November 1938 schon bemerkenswert: Dr. KELLER6 nahm hier im Unterricht kein Blatt vor den Mund, wurde aber nicht denunziert, wie sich einer seiner damaligen Schüler noch Jahrzehnte später erleichtert erinnert. Das organisatorische Ausgreifen der Hitler-Jugend in die Schulen führte ebenfalls zu erheblichen Problemen. An den Bücherverbrennungen jüdischer oder oppositioneller Autoren im Mai 1933 musste sich die Schule mit „Flammen-Appell“ und Gedichtvortrag auf dem Schulhof beteiligen. Noch gravierender war aber der dauerhafte und systematische Eingriff der totalitären NS-Ideologie in die Unterrichtsinhalte quasi aller Fächer: im Rahmen der Abiturprüfung 1936 sollten die Schüler z.B. im Geschichtsaufsatz die „Nürnberger Rassegesetze“ (natürlich bejahend) besprechen, während sie in Französisch über „Le réveil du troisième Reich“ zu räsonieren hatten.
Dass „Gottesfurcht und Vaterlandsliebe“ der wahre Geist der Anstalt sei, sollte aber bald nicht mehr ausreichen. „Beseelt vom neuen Geist“, beantragten vier stadtbekannte Bad Emser schon im April 1933 in einer offenen Petition (!) – zunächst erfolglos, den alten Direktor AUF DER HAAR, StR Dr. Andreas MÜLLER und Assessor Dr. RUNKEL aus dem Dienst zu entlassen, da sie der untergegangenen Weimarer Republik treu gedient hätten. 1937 funktionierte die „Gleichschaltung“ dann auch an der Emser Schule: während die vielen neuen jungen Kollegen zumeist karrierebewusst offen nationalsozialistisch auftraten, war der alte Direktor degradiert, versetzt und durch den „strammen Nazi“ Dr. Kurt KERN ersetzt worden.

Das Foto von 1935 zeigt einen Teil des damaligen Kollegiums umrahmt von 17 Abiturienten aus der Klasse Oberprima b:
sitzend ab zweiter von links bis vorletzter von rechts: Assessor GARTENSCHLÄGER, Dr. HERTLING, Assessor Dr. GÖTZ, Direktor Dr. Wilhelm AUF DER HAAR, StR Prof. Emil WEGMANN, Oberrealschullehrer Dr. Josef KELLER, Assessor August AX.

Der Einzugsbereich der 40 Abiturienten war stellenweise größer als heute, wie der undatierte Ausschnitt aus einer Koblenzer Zeitung wohl von 1935 zeigt: der alte Direktor war gerade versetzt worden.

Kriegsabitur im März 1945 mit Parteiabzeichen am Revers (DIETERICH, 347)

 

Einige dieser Oberschüler sollen kurz danach im sinnlosen Abwehrkampf gegen die Amerikaner im Westen des Reiches gefallen sein. Bis in die letzten Kriegstage im März hinein organisierte KERN unverdrossen Schulunterricht und Luftschutz der Schüler, um dann beim Erscheinen der Amerikaner Ende März (zunächst)7 spurlos zu verschwinden.
Trotz dieses abrupten Endes sorgte der neue Schulleiter (bis 1954) Dr. h.c. Albert HENCHE, der bis 1945 ein überzeugter Verkünder der NS-Ideologie- aber eben nie Parteimitglied gewesen sein soll, personell für Kontinuität. Vollständig „gewendet“, wurde aus dem Ehrendoktor ein wortreicher Verehrer der Weimarer Klassik; die Benennung unserer Schule nach GOETHE ging 1949 wesentlich auf ihn zurück! Besonders unangenehm blieb unbeteiligten Schülern allerdings in Erinnerung, wie er ehemalige Hitler-Jugend-Mitglieder seiner Schülerschaft bei der französischen Besatzung denunziert haben soll!

 

Epilog
Das deutlich verjüngte Kollegium präsentierte sich um 1955 nun erstmals mit Damen; vermutlich nach der Einführung des neuen Direktors:

(Undatiertes Foto, Schularchiv) stehend von links nach rechts: ??, ??, ??, OSL Josef MALZBENDER, StR Ferdinand HILGERT, OStR Karl BILLAUDELLE, OStR KÖHLER, StR Werner DAHMS, StR BÖHM, Assessor BOHN, ??
sitzend von links nach rechts: StR Dr. Josef KELLER, ??, StR Dr. Ingrid SACK, OStD Dr. DIETERT, StR GUTERMUTH, StR AIGNER, ??, Dr. KELLER (?).

 

1 Die folgenden Ausführungen können nur andeutungsweise einige markante Episoden skizzieren. Über das Schularchiv hinausgehende Belege bei DIETERICHS, Wilfried: Herrenjahre in der Provinz. Die Stadt Bad Ems
1914 - 1964. Weilburg 2013, 91-93, 189f. und 415ff.

2 Vgl. SARHOLZ, Hans-Jürgen: Geschichte der Stadt Bad Ems. Bad Ems 1994, 481ff.; Akten Schularchiv.

3 LÜTGEMEIER-DAVIN, Reinhold: Hakenkreuz und Friedenstaube. "Der Fall Herbers" (1895–1968). Frankfurt
a.M. 1988, S. 100.

4 Beide Fotos entnommen aus Jahresschrift 2002/2003 Goethe-Gymnasium Bad Ems, 92.

5 Entnommen aus SEIBERT, Hubertus: Der Aufstieg des Nationalsozialismus im Rhein-Lahn-Kreis (1925-1933), In: Der Rhein-Lahn-Kreis. Landschaft – Geschichte – Kultur unserer Heimat, hg. von der Kreisverwaltung Bad Ems 1987, S. 219-251; S. 241.

6 Dr. KELLER (1901-1981) erhielt das Bundesverdienstkreuz für seine langjährige Tätigkeit in der CDU, frdl. Mitteilung seines Enkels, Dr. GREEFF, Bensheim.

7 KERN, der bereits 1932 der NSDAP beigetreten war, legte dann in Bad Ems eine „Bilderbuchkarriere“ hin, als er mit Unterstützung des NS-Bürgermeisters MESSERSCHMIDT vom Studienrat zum Oberstudiendirektor befördert wurde! Als er 1949 versuchte, wieder in den Schuldienst zu gelangen, wurde dies vom hessischen wie auch rheinland-pfälzischen Kultusministerium rundweg abgelehnt: etliche Zeugen hatten ihn in seiner Spruchkammerakte als „mehr als 100%igen, intoleranten und kompromisslosen Nazi-Aktivist“ bezeichnet, der in Bad Ems gefürchtet war und schon zuvor einige Kollegen aus dem Dienst hatte entfernen lassen (Schularchiv).

Höhere Schule in Bad Ems

 

 

FOLGE 7

  Klicken, um die aktuelle Version dieses Beitrags als PDF herunterzuladen.
 

Sportlerleben im Festjahr 1929

 

Unsere Vorgängerschule, die damalige Kaiser-Friedrich Oberrealschule, konnte 1929 erstmals – und ganz wie heute noch am 14. und 15. März – ein vollständiges Abiturveranstalten“. Unter der Aufsicht von Oberschulrat Dr. Deiters vom Provinzialschulkollegium aus Kassel bestanden schließlich 21 Schüler.

Im Sportbereich lief es ebenfalls sehr gut: auch in Zeiten der beginnenden großen (welt)wirtschaftlicher Depression bestand der Fonds zur „Beschaffung von Schülerbootenwohl weiterhin fort. Die Boote wurden vom Schulhof (Standort Therme, s. künftiger Beitrag Schulgebäude) zu Wasser gelassen. Geturnt wurde in acht, gespielt in drei Abteilungen.

Die Schlag- und [Feld]Handballmannschaften nahmen erfolgreich an den „Preußenspielen1 in Weilburg teil. Besonders erfolgreich war man bei den Leichtathleten während der Reichsjugendwettkämpfe am 20. September in Limburg. Neben Kugelstoß- und 100-m-Laufsiegen stach besonders der Sieg bei der Domstaffel (4x100 m) heraus. Die Schulmannschaft errang eine besondere Trophäe:

„… den Limburger Domschild. Daher zogen nach der Rückkehr Lehrer und Schüler unter den Klängen einer Musikkapelle vom Bahnhof zur Schule, wo nach der Ansprache des Direktors der Domschild einen würdigen Platz in der Aula erhielt. “

Das Foto aus Limburg hält den stolzen Moment fest (von links nach rechts): die vier OS-Schüler WOLF, MELSHEIMER, DIENER, ALEF werden umrahmt von Direktor Dr. Wilhelm AUF DER HAAR und zwei Sportlehrern.

Die beiden Ehrenurkunden von 1930

 

  1  Ein traditionsreicher Wettkampf aller Höheren Schulen, der im riesigen Gesamtbereich aller damals preußischen Reichsländer stattfand! Unsere Schule gewann also in der Landesgruppe Hessen-Nassau, die mit Rheinland und Westfalen [zusammen die damalige Preußische Rheinprovinz] die Provinzgruppe I darstellte; die Gruppen II – IV deckten den Raum von Ostpreußen über Schleswig-Holstein bis Sachsen ab!

Höhere Schule in Bad Ems

 

 

FOLGE 8

  Klicken, um die aktuelle Version dieses Beitrags als PDF herunterzuladen.
 

Schulmusik – I. Teil anno 1927

  Der erste Abiturienten-Jahrgang von 1929 (vgl. Beitrag 7) bildete ab 1926 den Kern einer immer „schlagkräftigeren“ Gruppe junger Schülermusiker, die bereits 1927 im Marmorsaal sogar mit einem Beethovenkonzert aufwarten konnten. Folgende Mittel- und Oberstufenschüler stellten sich vor nunmehr 95 Jahren dem Fotografen:
Oben v. li. n. rechts: MÜNCH, BERNSTEIN, WALD, BRANDENBURG, KLEES, ?, SCHMIDT, VOLKS, SCHMIDT, BRIEHL, Wolfgang BÖTTICHER;
Unten v. li. n. rechts: ORTMANN, HÖHN, DATZ, KASTELEINER, NITSCH, STINNER, STURM, OPPENHEIMER.
  Der Bildgeber und Organisator, Oberschüler P. NITSCHE (Cello), sitzt in der Mitte rechts neben Zeichenlehrer Friedrich Wilhelm KASTELEINER, der eigentlich für die Musikaliensammlung zuständig war und zunächst die Leitung hatte.
Erst ein Jahr später kam der neue Musiklehrer STURM als Dirigent dazu. Auftritte bei der SCHUBERT-Feier 1928 und Gastspiele in Nassau und Diez kamen bis zu ihrem Abitur 1929 zustande. Neben den Klassikern, die – der Instrumentalbesetzung angepasst – in selbst arrangierten (!) Versionen gespielt wurden, erfreuten die Schüler ein größeres Publikum mit Unterhaltungsmusik aller Art, Märschen und Walzern. Ihr hierzu erforderliches Können erwarben die Schüler (auf eigene Kosten!) durch Einzelstunden bei den Profis des damals großen Bad Emser Kurorchesters. In den Sommermonaten hörten sie beim Kurpavillon ihren Musiklehrern aufmerksam zu. Gemeinsam übten die bis zu 20 Instrumentalisten (Streicher, Flöten, Bläser, Klavier) mit zumeist eigenen Instrumenten in der „Schulaula“ und dann in den Häusern ihrer oftmals wohlhabenden Eltern.

Höhere Schule in Bad Ems

 

 

FOLGE 9

  Klicken, um die aktuelle Version dieses Beitrags als PDF herunterzuladen.
 

Schulleben am Goethe Gymnasium vor 50 Jahren

  Viele Aktivitäten, die unser heutiges Schulleben [nach oder trotz ‚Corona‘] prägen, existieren schon seit vielen Jahrzehnten. Zwei dieser typischen Schul-Lebensbereiche können zum Ende dieser Jubiläumsreihe hin sogar mit Ton- bzw. Filmaufnahmen dokumentiert werden! Vielleicht werden sich ja einige Ehemalige oder deren Nachfahren in den beiden Zeitdokumenten wiederfinden!

 

Die Musik

spielt und spielte im Leben der Emser höheren Schule schon lange eine große Rolle. Das zeigte ganz aktuell – nach der langen und schmerzlichen „Corona-Pause“ – zuletzt das große öffentliche Schulkonzert in der Koblenzer Rhein-Mosel-Halle vor 1200 Zuhörern am 18. Juli. Schon rund hundert Jahre vorher gab es vergleichbare Musikbeiträge damaliger Schüler im Rahmen des Emser Kurbetriebs (vgl. Beitrag VIII.). Hier soll nun gleichsam chronologisch „in der Mitte“ eine „in Schellack gepresste“ und so überlieferte musikalische Leistung der Schule aus der Zeit vor 1970 vorgestellt werden. Die professionell außer Haus gemachte Schallplatte dokumentiert ein Konzert vom 20. Juni 1969, wahrscheinlich so wie auch heute noch ein Sommer-Abschlusskonzert. Das Plattencover gestalteten der Emser Kunstmaler Rudolf KASTER, der am GG unterrichtete und ein OS-Schüler. Die musikalische Leitung hatte der Kollege und Kantor Dr. Günther OBST; beteiligt war auch der spätere spiritus rector des schulischen Musiklebens der folgenden Jahrzehnte, Franz-Rudolf STEIN. Spektrum und Anspruch der Stücke von Orlando di Lasso aus dem 16. Jh. bis hin zu einer zeitgenössischen Eigenkomposition lassen den heutigen Zuhörer erstaunen.
   

_______________________________

_______________________________

_______________________________

_______________________________

_______________________________

_______________________________

_______________________________

_______________________________

_______________________________

_______________________________

_______________________________

_______________________________

_______________________________

_______________________________

_______________________________

_______________________________

 

 

 

Schulfahrten

erfreuen und erfreuten sich seit langer Zeit größter Beliebtheit. So auch die große Schulfahrt einer 10. Klasse nach Südfrankreich. Sie wurde damals von den beiden Französischlehrern Herr STD Weise und Frau Diel im Mai (04. – 13.) 1972 begleitet. Auf 8mm Farbfilm ohne Ton begleitet man die Jungen und Mädchen vom Bhf Bad Ems startend in Bahn und Bus von Mulhouse nach Grenoble; über verschneite Alpenpässe nach Valence bis an die Küste der Côte d’Azur. Ganz so wie heute überwiegt das soziale Leben auf den Bildern, während etwa das Römertheater in Orange doch recht knapp wegkommt.            

(mit Dank an Hr. Köpper)

 

 

Höhere Schule in Bad Ems

 

 

FOLGE 10

  Klicken, um die aktuelle Version dieses Beitrags als PDF herunterzuladen.
 

Das Goethe-Gymnasium in seinen Vorgängerbauten seit 1846

Wie in Beitrag 1 bereits berichtet, waren die Anfänge der Höheren Bad Emser Schule nicht nur in der Anzahl ihrer Schüler, sondern auch ihren Räumlichkeiten bescheiden. Nachdem die Schule zunächst 1846 ihre allerersten Klassenzimmer im zweiten Stock im Kaufhaus Schmidt, Römerstr. 60 angemietet hatte, musste die Stadt alsbald weitere Räume im benachbarten Haus Nr. 53 bereitstellen. 1

(vor 1900)

Dieser unpassende Zustand konnte erst 1878 unter dem prägenden Rektorat (von 1866 bis 1895!) von Heinrich Wagner überwunden werden, als die neue preußische Obrigkeit endlich ein modernes großzügiges Gebäude für das Kaiser-Friedrich Realgymnasium in der Viktoriaallee 1 errichten ließ.

(nach 1909 mit links Turnhalle)

 

In einem architektonischen Umfeld verschiedenster Richtungen wie Neorenaissance, Klassizismus oder Jugendstil entstand das Schulgebäude als angedeutet klassizistischer Quaderbau übrigens als erstes in der Viktoriaallee, z.B. vor der 1882 fertiggestellten neogotischen Pfarrkirche St. Martin, den Gründerzeitvillen ab den späten 1880er Jahren oder dem ehemaligen Amtsgericht (heute Polizei) auf der anderen Straßenseite. Erst 1909 wurde die Anlage mit einer zeittypisch ornamentierten Turnhalle mit Schwimmbad (!) im Stil der benachbarten Villen ergänzt.

(im Erdgeschoss Eingang zum städtischen Volksbad)

 

Für eine eigenständige Aula sollte es aber selbst in der „guten alten Zeit“ nicht mehr reichen. Die wunderschöne Lage in der Grünanlage direkt an der Lahn konnte schon ab den 1920er Jahren nicht mehr darüber hinwegtäuschen, dass das Gebäude für die immer weiter steigende Anzahl der Schüler zu klein war. Für feierliche Anlässe wurden entweder der nahegelegene Rathaussaal (Römerstraße 97, Museum) oder die Turnhalle genutzt. Nach langem Bemühen und dem Abriss der alten Lehranstalt erhielt das Goethegymnasium Bad Ems endlich 1966, genau zum 120jährigen Jubiläum, einen großzügigen modernen Zweckbau, wie er im westdeutschen „Wirtschaftswunderland“ in Mode war.

 

Das Problem der damals wiederum „vergessenen“ Aula blieb trotz genügendem Bauplatz aber lange fortbestehen. Erst 2022 wurde der Schule durch den Bau des Goetheforums – wenn auch die endgültige Fertigstellung noch andauern wird - die lange fehlende Aula geschenkt. Dieses Forum wurde ausschließlich durch den Gemeinsinn der Bürger, der Wirtschaft und aller Schulangehörigen finanziert. Damit schließt sich gewissermaßen ein Kreis, denn wie zu den Anfängen unserer Schule war auch heute der staatliche Schulträger nicht in der Lage gewesen, diesem seit Jahrzehnten bestehenden Wunsch nachzukommen.

 

1 Bildmaterial aus Schularchiv und Stadtarchiv. Angaben ergänzt durch Sarholz, Hans-Jürgen: Geschichte der Stadt Bad Ems. Bad Ems 1994.

 

 

Höhere Schule in Bad Ems

 

 

FOLGE 11

  Klicken, um die aktuelle Version dieses Beitrags als PDF herunterzuladen.
 

Das Realprogymnasium 1894/95 und die römische Vergangenheit 1

 

Dieser Beitrag ist zunächst angeregt worden durch die überaus bedeutenden aktuellen archäologischen Funde (2016-2019) zur frühen römischen Geschichte von Ems. Aus der Perspektive unserer damaligen Schule von 1894 tuen sich bei genauerem Hinsehen dann aber noch ganz andere Aspekte schulinterner Art auf.

Zunächst ist zusammenfassend erstens die mit ca. 45 n. C. sehr frühe, jetzt erwiesene Datierung – gut 100 Jahre vor der Errichtung des Limes - der großflächigen Befestigungen auf dem Blöskopf (Feldwache) und dem „Ehrlich-Plateau hervorzuheben. Sie wurden bald wieder aufgegeben, da die Gewinnung von Silber und Erzen in den damals ausgebauten Stollen dort nicht ertragreich war. Zweitens wurden in der Sole der Spitzgräben der Befestigungen - einzigartig im gesamten Römischen Reich (!) – angespitzte Spieße (pila fossata) gefunden, was in der Provinzialrömischen Archäologie und den Massenmedien einen großen Widerhall fand und findet.

Das Interesse der Emser Lehrerschaft an der lokalen römischen Vergangenheit begann bereits in den 1850er Jahren mit Oberlehrer Dietrich Kunz (vergleiche Beitrag I), setzte sich fort über das Mittun von Schülern an archäologischen Projekten in der Umgebung kurz nach 1900 (vergleiche Beitrag V.) und kann bis in die 2000er Jahre bis zu StD Alfred Preuß fortgeführt werden.

Besonders wertvoll waren die Ansätze von Oberlehrer (Latein und Geographie) Heinrich Hess (1847-1895), der allerdings nach zwanzigjähriger Tätigkeit in Ems unerwartet verstarb.

In einer Zeit, in der manche Gymnasiallehrer noch fachwissenschaftlich publizierten, veröffentlichte er 1895 im Emser Schulprogramm einen langen Beitrag zur römischen Geschichte von Bad Ems, der vor allem mit seiner Karte Anfang und Grundlage der Beschäftigung mit diesem Thema bildet. Die großformatige Darstellung als Kartenmodell, die er der Schule schenkte, ist leider verloren gegangen.

 

Er hatte die Zufallsfunde der Emser Bevölkerung (Münzen, t.w. beschriftete Tontafeln etc.) gesammelt, gesichtet und die wenigen antiken Schriftquellenzeugnisse ausgewertet. Er machte die LIMES-Kommission in Wiesbaden auf seine Beobachtungen im Feld aufmerksam, die daraufhin eine vorläufige Grabung veranstaltete. Deren damalige Ergebnisse und Folgerungen konnten durch die aktuellen Befunde nunmehr korrigiert werden.

Das Datum seiner Publikation dürfte allerdings kein Zufall gewesen sein, denn kurz zuvor hatte sein Französisch-Kollege Oberlehrer Wilhelm Meuser eine gehaltvolle „Analyse et critique de l’art poétique de Boileau“ veröffentlicht (Programm 1892). Diese interessante Konstellation muss im damaligen schulpolitischen Zusammenhang gesehen werden. Seit den frühen 1890er Jahren nahmen bei einem Teil der Eltern und Lehrer die Bemühungen zu, eine königliche Realschule II. Ordnung (mit Englisch und Französisch, ohne Latein, aber mit Berechtigung auf das „Einjährige“) zu werden, was die sogenannten „Realisten“ (!) zu mannigfacher Agitation gegen den Latein-Unterricht verleitet hatte. Dagegen wehrten sich die Latinisten (Realprogymnasium), die eine „unvollständige, einer niederen Ordnung angehörige Lehranstalt“ nicht akzeptierten! Beide Parteien hatten nun jedenfalls einmal publizistisch ihre Kompetenz dargestellt.

Der Dissens blieb noch lange bestehen: nachdem der hochgeschätzte Lateinlehrer Prof. Dr. Hofmann (vergleiche Beitrag V) 1905 die Schule verließ, um eine ihm als Altphilologen mehr zusagende Beschäftigung zu finden (!), kam 1907 gar mit dem neuen Direktor (u. Reserveoffizier) Dr. Georg Höfer jemand, der ganz modern zur Londoner Vulgärsprache (!) promoviert hatte und sich mit der Broschüre „Die Reformschule und ihre Bedeutung für Ems“ einführte.

Glücklicherweise wurde bald ein Kompromiss gefunden, der die Schülerzahlen wieder steigen ließ: nämlich die Realschule mit Reformrealprogymnasium, womit man in der Coblenzer Zeitung 1911 erfolgreich Schüler anwerben konnte.

 

Daneben waren die Berechtigung zum Einjährigen, kleine Klassen, die schöne Umgegend, das (vergleichsweise) geringe Schulgeld und die Unterbringung in familienbetriebenen Pensionen wirksame Werbemittel!

 

 

 

1 Der Beitrag beruht auf den Schulprogrammen der 1890er im Schularchiv, Auth, Frederic: Der frühkaiserzeitliche Militärstützpunkt auf dem Blöskopf bei Bad Ems – Militärische Strukturen in einem römischen Bergbaubezirk, in: Die frühkaiserzeitlichen Militäranlagen bei Bad Ems im Kontext des römischen Bergbaus. Ergebnisse der Feldforschungen 2016-2019, hgg. von P. Henrich; M. Scholz (Berichte z. Archäologie an Mittelrhein u. Mosel 23). Koblenz 2023, 150-238 und Hess, Heinrich: Zur Geschichte der Stadt Ems, Teil I. Die vorrömische, die römische und die merowingische Zeit, in: Programm des in der Umwandlung zu einer Realschule begriffenen Realprogymnasiums Bad Ems 1895, 5-54.

 

 

Höhere Schule in Bad Ems

 

 

FOLGE 12

  Klicken, um die aktuelle Version dieses Beitrags als PDF herunterzuladen.
 

GOETHEs ‚Werther‘, die 250. Wiederkehr des 13./14. September 1772 1 und das Gymnasium in Bad Ems

Es gibt in Deutschland viele Schulen, die sich nach dem ‚Dichterfürsten‘ benennen; oftmals jedoch ohne einen historisch nachvollziehbaren Bezug. Solcherlei Bezüge zum Emser ‚Goethe-Gymnasium‘ existieren dagegen tatsächlich schon, wie der folgende chronologische Abriss verdeutlichen möchte.

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) war insgesamt viermal in Bad Ems: einmal 1772, kurz hintereinander zweimal 1774 und dann noch ein deutlich späterer Besuch beim Reichsfreiherrn Friedrich Karl von und zum Stein (1759-1831) vornehmlich in Nassau. Literarisch wesentlich bedeutsamer im Zusammenhang mit Entstehung und früher Rezeption seines ersten Welterfolges waren die drei frühen Besuche in Bad Ems.

Der junge Jurist Dr. Goethe und schon weithin bekannte Sturm und Drang Autor des ‚Götz von Berlichingen‘ verbrachte von Mai bis September 1772 eine Art Hospitation am Reichskammergericht in Wetzlar, dem ranghöchsten Gericht des altehrwürdigen ‚Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation‘. Hier lernte er die damals mit dem königlich-hannoveraner Beamten Johann Christian Kestner (1741-1800) verlobte Charlotte Buff (1753-1828) kennen und verliebte sich in sie. Obwohl seine Beziehung zu beiden eine ausgesprochen gute geblieben war, reiste Goethe fluchtartig am Freitag (11. September) „sehr niedergeschlagen“ ab, „ohne [von irgendjemand] Abschied“ genommen zu haben.

Seine zweitägige Fußwanderung die Lahn hinab konnte wohl seine Frustration so weit abbauen, dass er bei seinem ersten Besuch im hessisch-darmstädtischen Kurbad Ems am Sonntag (13. 09.) „des sanften Bades genoss“. Offenbar so weit wieder beruhigt, ließ er sich dann am Montag (14. September), ganz im Sinne ‚Werthers‘ von der Natur entzückt, mit einem Kahn bis zur kurfürstlich-trierischen Residenzstadt Ehrenbreitstein fahren. Dort begann er, gut versorgt im Hause der Beamten- und Literatenfamilie von Laroche, wohl schon mit einer Art literarischer Vorkonzeption des späteren Briefromans ‚Die Leiden des jungen Werthers‘. Das war neben seiner Ablenkung durch die Bekanntschaft mit der sechszehnjährigen Maximiliane von Laroche (verh. Brentano 1756-1793), die zum Vorbild für die Züge ‚Lottes‘ wurde, Goethes Methode der Verarbeitung persönlicher Probleme!

Zwei Jahre später war der ‚Werther‘ noch nicht veröffentlicht und Goethe erreichte, nach einer zweitägigen Express-Kutschenfahrt aus Frankfurt kommend, am 29. Juni 1774 wieder den angenehmen Ort Bad Ems; diesmal begleitete er einen Bekannten, den damals überaus populären Züricher Aufklärungsliteraten und Pfarrer Johann Caspar Lavater (1741-1801) zur Kur. Lavater predigte2 sehr inspirierend insgesamt dreimal vor der Emser Gemeinde und eigens angereisten Gästen.

Nach seiner planmäßig vorgesehenen baldigen Rückreise nach Frankfurt (30. Juni) begleitete Goethe dann den Hamburger Pädagogen, Schriftsteller und Philanthropen Johann Bernhard Basedow (1724-1790)3 ebenfalls zur Kur nach Bad Ems. Ein Zusammentreffen solch unterschiedlicher Theorien und Charaktere wollte sich „Dr. Goeddée4 nicht entgehen lassen und schloss seine Frankfurter Anwaltskanzlei!

Direkt nach ihrer Ankunft kam es am Freitag (15. Juli) im Anschluss an das Nachtessen im Fürstlich-Oranien-Nassauischen Badehaus [heute Teile von Häckers Kurhotel] zu langen wechselvollen literarischen Gesprächen in Anwesenheit von Teilen des ‚rheinischen Kreises‘ (nach Adolf Bach) von Goethe und ihm teilweise bekannten Emser und auswärtigen Gästen.5 Dies stellte wohl den ersten größeren Rezipientenkreis des ‚Werther‘ dar. Basedow las einen herrlichen Aufsatz von Goethe [vor]; Goethe selber hatte sein im April fertiggestelltes unveröffentlichtes Manuskript des zweiten Buchs des ‚Werther‘ mitgebracht; die Erstfassung sollte wohlweislich anonym6 erst nach dem 29. September 1774 auf der Leipziger Buchmesse veröffentlich werden!

 

Lavater, dessen Brieftagebuch für diese Zeit großen Quellenwert besitzt, las zunächst daraus vor. Er konnte danach nicht mehr damit aufhören, im Stillen bis zum Schluss weiterzulesen und verbrachte mit der „schreklichen Geschichte“ eine schlaflose Nacht im gemeinsamen Zimmer 48/49 des Nassauischen Kurhauses. Goethe, dessen auratischer Persönlichkeit sich auch hier viele Türen öffneten, aber zeichnete währenddessen auf Wunsch begeisterter Gäste noch Silhouetten – im damaligen literarischen ‚Sturm und Drang‘ ein vielgesuchter Beweis von ‚Freundschaft‘, dem übrigens auch ‚Werther‘ nachging (Brief vom 24. Junius). Enthusiasmiert ritzte (!) Goethe nach langer Nacht schließlich in die Tapete seines Emser Hotelzimmers noch die Erinnerungsverse:

wenn du darnach was fragst,
wir waren hier,
du, der du nach uns kommen magst,
hab wenigstens so frisches Blut
u: sey so leidlich, fromm und gut
u: leidlich glücklich, als wie wir!
Den 18jul. 74. Goethe
.

Lavaters Maler Georg Friedrich Schmoll († 1785) fertigte dann am Morgen des 17. Juli ein Schattenrissporträt mit Widmung und eine Kohlezeichnung von Goethe an, wohl während sich dieser dabei rasieren ließ!

Heute macht man Handy-Selfies zur Erinnerung!

 

Am Montag (18. Juli) reisten Goethe und Basedow aus Bad Ems ab und begaben sich per Schiff zunächst in die gräflich-wiedische Residenzstadt Neuwied.

Nach weiteren Abstechern bis in die herzogliche Residenzstadt Düsseldorf und Gesprächen mit t.w. bedeutenden Persönlichkeiten (u.a. Wilhelm Heinse, Friedrich Jacobi, Johann Heinrich Jung-Stilling) hielten sich die beiden dann schließlich vom 28. Juli bis 12. August wieder in Bad Ems auf und verlebten noch eine heitere Kur.

1949, im 200. Geburtsjahr Goethes (Beitrag VI. zum 175jährigen Bestehen des GG), wechselte die alte Kaiser-Friedrich-Schule ihren Namen mit dem des ‚Dichterfürsten‘; eine Benennung nach dem Selbstmörder ‚Werther‘ war und wäre wohl auch nicht angebracht gewesen.

 

1 Alle Angaben nach Bach, Adolf: Aus Goethes Rheinischem Lebensraum. Menschen und Begebenheiten. (Jahrbuch Verein f. Denkmalpflege und Heimatschutz 1967/68). Neuss 1968; Briefe an Goethe. Gesamtausgabe in Regestform, Bd. 1 1764-1795, hg. von Karl-Hein Hahn. Weimar 1980; Goethes Leben von Tag zu Tag. Eine dokumentarische Chronik. Bd. I, 1749-1775, hg. von Robert Steiger, Zürich 1982; https://www.jgoethe.uni-muenchen.de/leben/lavater.html <30.06.2022>; zuletzt Schencking, Martin: Sturm und Drang im kaiserlichen Bad. Johann Wolfgang von Goethe in Bad Ems. Zell / Mosel 2021, 20, 24, 32, 47-60.

2 Zwei Predigten liegen gedruckt vor, Frankfurt a.M. 1774.

3 Sein damals vielbeachtetes Hauptwerk ‚Elementarbuch für die Jugend und die Lehrer‘ betont eine psychologisierende Pädagogik. Nach seinem Enkel Carl ist die gleichnamige Krankheit benannt.

4 Vgl. Abb. 2. Man meint noch heute zu hören, wie der Kutscher in breitem Frankfurterisch dem Emser Posthalter den Namen des Dichterfürsten zurief. Der Inhaber der Posthalterei [Pferdewechsel, Hotel, Postsendungen] hatte u.a. die Aufgabe, die Namen der ein- und ausreisenden Gäste zu notieren und der Gemeindeverwaltung für die abgebildete Veröffentlichung zu melden.

5 Für mögliche Zuhörer vgl. die Liste der anwesenden (Brunnen)gäste vom 29. Juni bis 18. Juli: u.a. ein Graf von Wittgenstein; einer der beiden hervorragenden Möbelfabrikanten Röntgen aus Neuwied – Abraham (1711-1793) oder David (1743-1807); einer der beiden Schwermetall-Fabrikanten Remy [heute Rasselstein] aus Bendorf; Goethe besuchte die überaus kunstsinnige Familie am 18. 07. 1774 in Vallendar [heute Goethe-Haus]; zwei Hofprediger aus den benachbarten Kleinresidenzen Dierdorf und Diez-Oranienstein. Weiterhin ein Graf von Stolberg mit Gattin – also nicht der berühmte empfindsame Schriftsteller und Goethe-Freund Friedrich-Leopold (1750-1819). Allerdings kam es bald zu einem bemerkenswerten, weil unwahrscheinlichen Briefwechsel zwischen dessen Schwester, der Gräfin und pietistischen Stiftsdame Auguste von Stolberg (1753-1835) und dem ‚Stürmer und Dränger‘ Goethe.

6 Im Juli 1774 war mit dem Trauerspiel ‚Clavigo‘ überhaupt das erste Werke Goethes gedruckt worden, das unter seinem Namen erschien.