FOLGE 4

 

Schülerleben im Kaiserreich

Unser undatiertes Foto einer Emser Klasse vor ihrem Gymnasium (Beitrag zum Gebäude folgt) stammt aus einer Zeit, die uns Heutigen fremd, aber auch interessant erscheinen mag. Unterschiede zur Gegenwart sollen daher hier knapp vorgestellt werden. Vergleiche zur heutigen Situation bleiben dem Betrachter überlassen.

 

Stolz und selbstbewusst wirken die meisten der 14 Schüler der Oberstufe – eine damals normale Klassenstärke, die einen Abiturjahrgang darstellte. Die drei Schüler am rechten Rand schauen keineswegs desinteressiert zur Seite, sondern bieten dem Emser Fotografen bewusst ihr Profil, so wie man das damals bei Gruppenfotos zu tun hatte. Als Schuluniform trug man in der Regel bis zur Obertertia (9. Klasse) einen Matrosenanzug; danach wie auf dem Foto einen Anzug mit kleiner Krawatte. Die Käppis, die man draußen trug, ähnelten denen der Studentenverbindungen, was kein Zufall war: die wenigen Abiturienten – ca. 0,1 Prozent eines Gesamtjahrgangs – studierten später so gut wie alle.

Das jährliche Schulgeld betrug 130 RM (+ einmalige Aufnahmegebühr 15 RM) – ein monatliches Durchschnittseinkommen keine 200 RM! Trotzdem achtete gerade der so leistungsbezogene preußische Staat darauf, begabten Schülern den Besuch dieser Eliteschulen zu ermöglichen. Der heute noch bekannte Klassenprimus war damals insofern eine jährlich im Schuljahresbericht veröffentlichte „Institution“, als dass der Notenbeste nicht nur das „Vergnügen“ hatte, vorne beim Lehrerpult zu sitzen und das Klassenbuch zu führen, sondern auch das Schulgeld minimiert bzw. erlassen bekam!  Weiterhin wurden die leistungsstärksten Schüler prämiert: etwa bei der Geburtstagsfeier seiner Majestät am 27. Januar 1899 in der festlich geschmückten Aula unter reger Beteiligung der Bürgerschaft … mit Verleihung eines Schüler-Buch-Preises der Schulbehörde „Deutschlands Seemacht einst und jetzt.“ Darüber hinaus wohnten die auswärtigen Schüler von Westerwald und Taunus die Woche über in Bad Ems – wenn der einfache Fußweg zur Schule mehr als 10 km betrug! Und zwar z.B. gediegen im Schülerheim beim pensionierten Berliner Oberlehrer Prof. Dr. Möller und Gattin, die den Eltern in ihrer Emser Villa Herzlichkeit, Frohsinn, Pflege und enge Beaufsichtigung in Aussicht stellten. „Bedingung für die Gewährung einer ganzen, halben oder viertel Freistelle sind unter allen Umständen Würdigkeit und Bedürftigkeit, was bedeutete, dass Kost und Logis des Kindes bei geringem Einkommen der Eltern und je nach entsprechender Begabung vollständig, zur Hälfte oder zu 25% vom Staat übernommen wurde.

Neben den (beinahe) garantierten gesellschaftlichen Vorteilen eines Abiturs bot auch das Emser Realgymnasium mit nur 8 Jahren Schulzeit das Privileg des „Einjährigen“, d.h. der anschließende Militärdienst dauerte nur ein Jahr statt zwei oder zeitweise drei (!) Jahre für die große Masse der jungen Männer. Allerdings erwarteten Staat und Gesellschaft, dass die „Studierten“ dann Reserveoffiziere wurden und das in etlichen Wehrübungen auch blieben. Und so war das Militärische schon vor der Nazizeit an den Gymnasien weit verbreitet:

Zwar wurden die jährlichen Sedanfeiern am 02. September (zum Gedenken an den Sieg über Frankreich 1871) in den Städten feierlich begangen und waren unterrichtsfrei, konnten aber auch beim neuen Emser Schuldirektor und Reserveoffizier Dr. Heinrich Hawickhorst1 1913 das Nachstellen der Schlacht auf dem Schulhof bedeuten.

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1 kämpfte im I. Weltkrieg als Hauptmann. Er hielt als Direktor des Gymnasiums in Staßfurt (bei Magdeburg) 1933 eine öffentliche Rede, in der er den nationalsozialistischen Terror stark kritisierte, https://www.stassfurt.de/de/datei/anzeigen/id/11934,1065/hermann_kasten.pdf

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