FOLGE 6

  Klicken, um die aktuelle Version dieses Beitrags als PDF herunterzuladen.
 

Die Schulgemeinschaft in schwieriger Zeit – 1933 bis 1945 1

 

Schon vor der Machtübernahme der NS kam die Schule mit der heraufziehenden „neuen Zeit“ unliebsam in Kontakt. Als 1930 die NSADP bei der Reichstagswahl gerade mal 3 Prozent erhielt, hatte StR Hein HERBERS (1895-1968) als SPD-Mitglied, Weltkriegsteilnehmer und bekannter Pazifist in Ems eine öffentliche Rede („Das Hakenkreuz ist Deutschlands Untergang“) gehalten und versucht, das Eindringen des NS-Gedankengutes in die Schule durch Aufklärung über das Verbrecherische dieser Ideologie zu verhindern. Allerdings trugen bereits 1930 einige Oberschüler auf dem Weg zur Schule die Parteiabzeichen und StR Anton PFLUGMACHER besuchte 1930 (privat) mit einigen Schülern in Uniform den Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg! Als PFLUGMACHER auch noch bei einer lokalen NS-Veranstaltung 1930 als Gastredner aufgetreten war, strengte der Direktor ein Disziplinarverfahren gegen ihn an. Die Unruhen in Elternschaft, Kollegium und Stadt hatten nach dienstlichen Untersuchungen ihren (internen) Höhepunkt, als der Oberpräsident (SPD) der Provinz Rhein-Nassau die Schule als „zur Brutstätte des Hakenkreuzes geworden“ bezeichnete. Für Direktor Dr. Wilhelm AUF DER HAAR, der ohne Nationalsozialist zu sein, eher dem konservativ-nationalistischen „Stahlhelm“ nahestand, „kehrte erst wieder Ruhe ein“, als HERBERS 1931 nach Kassel versetzt wurde. 2

3

Hein HERBERS (Mitte) im Winter 1930/31 auf dem Schulhof mit den Oberschülern (von links)
Hans HOPPE, Peter METZEN, Günther MENK, Theo MALZBENDER. Das Foto war (wirkt wie) ein statement dieser Schüler!

 

Als mit dem „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 die NS-Herrschaft endgültig gefestigt erschien, hielt Direktor AUF DER HAAR in der Turnhalle (vgl. Beitrag Schulgebäude) unter drei Fahnen, der der Schule, dem Schwarz-Weiß-Rot der Monarchie und der der NSDAP eine Lobrede auf die braunen Herrscher. Noch lebte die Hoffnung auf eine „Versöhnung“ der neuen Bewegung mit der untergegangenen Monarchie bei den konservativ-national eingestellten älteren Kollegen fort. Für die Abiturienten von 1933 waren die Wochen nach der Machtübergabe an die NS am 30. Januar wohl noch kein großer Einschnitt; die beiden Fotos vom März 1933 lassen jedenfalls nichts dergleichen erkennen.

4

 

So rustikal würde heutzutage keine mündliche Abiturprüfung bezeichnet werden!

 

Die NS-Zeit ab 1933 stellte dann aber auch die Schule – Lehrer wie auch Schüler und Eltern – im beschaulichen Bad Ems vor viele Probleme und oftmals auf die Probe.

Schüler der Schulge.[meinschaft] Oberrealschule beim Aufmarsch zum 01. Mai 1933 5

 

Einige bemerkenswerte Details seien kurz aufgeführt: an diesem von den NS gerade erst erschaffenen arbeitsfreien „Ehrentag der Nationalen Arbeit“ marschierten an der Spitze des Zuges neben OberschülerInnen, ein SA-Mann und ein Lehrer (evt. StR PFLUGMACHER als Weltkriegsteilnehmer mit Eisernem Kreuz) durch die Römerstraße. Im Hintergrund sind Mitglieder der Hitler-Jugend und jüngere SchülerInnen in Zivil zu erkennen. Auf den Bannern mit u.a. den Slogans „Verein für das Deutschtum im Ausland“ und „Deutschland erwache!“ sind die alten kaiserzeitlichen Farben Schwarz-Weiß-Rot einseitig mit dem Hakenkreuz beklebt!
Weitere problematische Ansatzpunkte eines gewissen Widerstandes waren z.B. der ausgrenzend-diffamierende Umgang mit den (wenigen) jüdischen Mitschülern oder etwa der alltägliche Hitlergruß des Lehrers vor der Klasse. Die Verweigerung als niederschwellige Form des Widerstandes konnte bei einer Denunziation ernsthafte Folgen nach sich ziehen. Daher ist die Kritik an den Zerstörungen in Bad Ems in der „Reichspogromnacht“ zum 10. November 1938 schon bemerkenswert: Dr. KELLER6 nahm hier im Unterricht kein Blatt vor den Mund, wurde aber nicht denunziert, wie sich einer seiner damaligen Schüler noch Jahrzehnte später erleichtert erinnert. Das organisatorische Ausgreifen der Hitler-Jugend in die Schulen führte ebenfalls zu erheblichen Problemen. An den Bücherverbrennungen jüdischer oder oppositioneller Autoren im Mai 1933 musste sich die Schule mit „Flammen-Appell“ und Gedichtvortrag auf dem Schulhof beteiligen. Noch gravierender war aber der dauerhafte und systematische Eingriff der totalitären NS-Ideologie in die Unterrichtsinhalte quasi aller Fächer: im Rahmen der Abiturprüfung 1936 sollten die Schüler z.B. im Geschichtsaufsatz die „Nürnberger Rassegesetze“ (natürlich bejahend) besprechen, während sie in Französisch über „Le réveil du troisième Reich“ zu räsonieren hatten.
Dass „Gottesfurcht und Vaterlandsliebe“ der wahre Geist der Anstalt sei, sollte aber bald nicht mehr ausreichen. „Beseelt vom neuen Geist“, beantragten vier stadtbekannte Bad Emser schon im April 1933 in einer offenen Petition (!) – zunächst erfolglos, den alten Direktor AUF DER HAAR, StR Dr. Andreas MÜLLER und Assessor Dr. RUNKEL aus dem Dienst zu entlassen, da sie der untergegangenen Weimarer Republik treu gedient hätten. 1937 funktionierte die „Gleichschaltung“ dann auch an der Emser Schule: während die vielen neuen jungen Kollegen zumeist karrierebewusst offen nationalsozialistisch auftraten, war der alte Direktor degradiert, versetzt und durch den „strammen Nazi“ Dr. Kurt KERN ersetzt worden.

Das Foto von 1935 zeigt einen Teil des damaligen Kollegiums umrahmt von 17 Abiturienten aus der Klasse Oberprima b:
sitzend ab zweiter von links bis vorletzter von rechts: Assessor GARTENSCHLÄGER, Dr. HERTLING, Assessor Dr. GÖTZ, Direktor Dr. Wilhelm AUF DER HAAR, StR Prof. Emil WEGMANN, Oberrealschullehrer Dr. Josef KELLER, Assessor August AX.

Der Einzugsbereich der 40 Abiturienten war stellenweise größer als heute, wie der undatierte Ausschnitt aus einer Koblenzer Zeitung wohl von 1935 zeigt: der alte Direktor war gerade versetzt worden.

Kriegsabitur im März 1945 mit Parteiabzeichen am Revers (DIETERICH, 347)

 

Einige dieser Oberschüler sollen kurz danach im sinnlosen Abwehrkampf gegen die Amerikaner im Westen des Reiches gefallen sein. Bis in die letzten Kriegstage im März hinein organisierte KERN unverdrossen Schulunterricht und Luftschutz der Schüler, um dann beim Erscheinen der Amerikaner Ende März (zunächst)7 spurlos zu verschwinden.
Trotz dieses abrupten Endes sorgte der neue Schulleiter (bis 1954) Dr. h.c. Albert HENCHE, der bis 1945 ein überzeugter Verkünder der NS-Ideologie- aber eben nie Parteimitglied gewesen sein soll, personell für Kontinuität. Vollständig „gewendet“, wurde aus dem Ehrendoktor ein wortreicher Verehrer der Weimarer Klassik; die Benennung unserer Schule nach GOETHE ging 1949 wesentlich auf ihn zurück! Besonders unangenehm blieb unbeteiligten Schülern allerdings in Erinnerung, wie er ehemalige Hitler-Jugend-Mitglieder seiner Schülerschaft bei der französischen Besatzung denunziert haben soll!

 

Epilog
Das deutlich verjüngte Kollegium präsentierte sich um 1955 nun erstmals mit Damen; vermutlich nach der Einführung des neuen Direktors:

(Undatiertes Foto, Schularchiv) stehend von links nach rechts: ??, ??, ??, OSL Josef MALZBENDER, StR Ferdinand HILGERT, OStR Karl BILLAUDELLE, OStR KÖHLER, StR Werner DAHMS, StR BÖHM, Assessor BOHN, ??
sitzend von links nach rechts: StR Dr. Josef KELLER, ??, StR Dr. Ingrid SACK, OStD Dr. DIETERT, StR GUTERMUTH, StR AIGNER, ??, Dr. KELLER (?).

 

1 Die folgenden Ausführungen können nur andeutungsweise einige markante Episoden skizzieren. Über das Schularchiv hinausgehende Belege bei DIETERICHS, Wilfried: Herrenjahre in der Provinz. Die Stadt Bad Ems
1914 - 1964. Weilburg 2013, 91-93, 189f. und 415ff.

2 Vgl. SARHOLZ, Hans-Jürgen: Geschichte der Stadt Bad Ems. Bad Ems 1994, 481ff.; Akten Schularchiv.

3 LÜTGEMEIER-DAVIN, Reinhold: Hakenkreuz und Friedenstaube. "Der Fall Herbers" (1895–1968). Frankfurt
a.M. 1988, S. 100.

4 Beide Fotos entnommen aus Jahresschrift 2002/2003 Goethe-Gymnasium Bad Ems, 92.

5 Entnommen aus SEIBERT, Hubertus: Der Aufstieg des Nationalsozialismus im Rhein-Lahn-Kreis (1925-1933), In: Der Rhein-Lahn-Kreis. Landschaft – Geschichte – Kultur unserer Heimat, hg. von der Kreisverwaltung Bad Ems 1987, S. 219-251; S. 241.

6 Dr. KELLER (1901-1981) erhielt das Bundesverdienstkreuz für seine langjährige Tätigkeit in der CDU, frdl. Mitteilung seines Enkels, Dr. GREEFF, Bensheim.

7 KERN, der bereits 1932 der NSDAP beigetreten war, legte dann in Bad Ems eine „Bilderbuchkarriere“ hin, als er mit Unterstützung des NS-Bürgermeisters MESSERSCHMIDT vom Studienrat zum Oberstudiendirektor befördert wurde! Als er 1949 versuchte, wieder in den Schuldienst zu gelangen, wurde dies vom hessischen wie auch rheinland-pfälzischen Kultusministerium rundweg abgelehnt: etliche Zeugen hatten ihn in seiner Spruchkammerakte als „mehr als 100%igen, intoleranten und kompromisslosen Nazi-Aktivist“ bezeichnet, der in Bad Ems gefürchtet war und schon zuvor einige Kollegen aus dem Dienst hatte entfernen lassen (Schularchiv).

Zurück